Stadt pocht auf teilweisen Abbruch

Rohbauten in Zazenhausen sind zu groß
Schwere Vorwürfe gegen Planer

Weil zu groß, zu hoch und ohne Erlaubnis gebaut wird, hat die Stadt eine Baustelle für 25 Ein- und Zweifamilienhäuser in Zazenhausen gestoppt. Ein Teil der Schwarzbauten muss abgerissen werden. Die Planungsfirma weist alle Schuld von sich. Manchem Hauseigentümer droht die finanzielle Katastrophe.

STUTTGART. Überall drehen sich Kräne, fahren Lastwagen. Bauarbeiter hämmern an Betonschalungen, dichten Fenster ab, streichen Fassaden an. Das Neubaugebiet Hohlgrabenäcker in Zazenhausen ist eine riesige Baustelle. Doch in einem Segment, dem östlichen Teil des Rosenapfelwegs und des Bitterfelder Wegs, herrscht Stille. Hier hat die Stadt nach Recherchen unserer Zeitung am 25. September den Baustopp verfügt, wegen massiver Verstöße gegen das Baurecht.
Auf dem stillgelegten Baufeld entstehen 25 Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften. Baustart war im Frühjahr und Sommer. Die meisten Gebäude sind im Rohbau fertig. Aber jetzt haben aufmerksame Mitarbeiter des Baurechtsamts festgestellt, dass bei zwölf Doppelhaushälften die zulässige maximale Länge der Gebäude und bei sechs Doppelhaushälften und einem Einzelhaus die maximale Höhe missachtet wurden. Allein die Verstöße in der Grundfläche addieren sich angeblich auf 800 Quadratmeter.

„Die Firma PP Bauconsulting GmbH hat ohne erteilte Baufreigabe und abweichend von den eingereichten Plänen den Bau begonnen", sagt Markus Vogt, Sprecher der Stadt Stuttgart, auf Anfrage. Seit dem Baustopp hätten „unzählige Gespräche mit allen Beteiligten" stattgefunden. Weil die verantwortliche Planungsfirma PP Bauconsulting nicht genügend an der Problemlösung mitgewirkt habe, sei allerdings kein Kompromiss zu erzielen gewesen, so Vogt. Für die Häuser, die zu hoch gebaut wurden — nach Informationen unserer Zeitung um rund einen halben Meter —, könnten nachträglich Genehmigungen beantragt werden. „Soweit aber Gebäude mit einer Uberschreitung der festgesetzten Baugrenzen errichtet wurden, müssen diese zurückgebaut werden", betont Vogt. Rückbau heißt: Abriss.
Für die betroffenen Hauseigentümer ist es ein Fiasko. Dass der spektakuläre Fall trotzdem wochenlang nicht bekannt wurde, liegt unter anderem daran, dass einzelne Eigentümer noch versuchen, ihren Konflikt mit der Stadt mit Hilfe von Rechtsanwälten zu lösen. Die Anwälte wollen deshalb eine öffentliche Debatte vermeiden.
Harald W. ist einer der ersten Eigentümer, der sich zu Wort meldet. Er wirft der Stadt übermäßige Härte vor, immerhin seien „die Planer und nicht die Eigentümer" schuld an der Misere. Sollte die Stadt auf dem Teilabriss der 80 Zentimeter im Untergeschoss bestehen, der viel Zeit und hohe Kosten verursache, wäre das verheerend. Mancher jungen Familie, deren Finanzierung knapp kalkuliert sei, drohe „die Zwangsversteigerung und damit der Ruin", warnt Harald W.
„Die Stadt Stuttgart hat ein Ermessen, im Einzelfall eine rechtswidrige Überschreitung der Außenmaße zuzulassen", argumentiert Harald W. Eine andere Lösung wäre es, den Bebauungsplan — der die Maße und Baumassen in dem Neubaugebiet vorschreibt — im Bereich der kritischen Häuser den gebauten Realitäten „anzupassen", sagt W. Nach Informationen unserer Zeitung hat die Stadt ein solches Entgegenkommen aber vor einigen Tagen abgelehnt. Man dürfte in solchen Fällen nicht als erpressbar dastehen, sagen Politiker im Rathaus.

Die 25 Häuser werden im sogenannten Kenntnisgabeverfahren errichtet. Bei diesem Verfahren, das die Genehmigung stark vereinfacht, muss der Bauherr dafür sorgen, dass das Gebäude am Ende auch allen rechtlichen Vorgaben entspricht. Verantwortlich für die Planung und Baugenehmigung im östlichen Rosenapfel- und Bitterfelder Weg war zunächst PP Bauconsulting. Die Firma handelte im Auftrag der Eigentümer, also der Bauherren. Seit dem Baustopp betreut sie nach eigenen Angaben noch 13 Objekte. „Im Vertrag mit PP stand zunächst, unser Haus wird 13,50 Meter tief", sagt Harald W „Später hieß es, die Stadt fordere 11,80 Meter." Diese notwendige zweite Planung habe ihn 10.000 Euro extra gekostet. Erst nach dem Baustopp habe er vom Amt erfahren, dass auf seinem Bauplatz laut Bebauungsplan maximal elf Meter erlaubt sind.

Die Firma, die die Häuser geplant hat, spricht von einer „Verkettung unglücklicher Umstände"

„Auch uns wurde von PP gesagt, wir sollten 11,80 Meter bauen, das sei genehmigt", erinnert sich der Chef der Rohbaufirma. Die Untergeschosse um 80 Zentimeter zu kürzen sei anspruchsvoll, weil auch das Fundament angepasst werden müsse. Die Baukosten werden pro Haus auf 5.000 bis 15.000 Euro geschätzt. Dazu kommen die Kosten durch den Zeitverzug. „Das ist ein einzigartiger Fall, die Planer sind an Dilettantismus nicht zu überbieten und die Stadt hat viel zu lange mit der Intervention gewartet", kritisiert ein Ingenieur, der den Sachverhalt kennt.
Karsten Schiemenz, seit 2009 bei PP Bauconsulting beschäftigt und seit 16. Oktober 2012 deren Geschäftsführer, spricht gegenüber unserer Zeitung von einer „Verkettung unglücklicher Umstände" in Zazenhausen. Mal habe das Amt Fehler gemacht, mal ein „falsch beauftragter Planer". Zudem habe es Zerwürfnisse innerhalb der Firma gegeben, die auch in das Bauprojekt „Unruhe" gebracht hätten. Der Vorwurf, dass private Bauherren beim Kauf mit vermeintlich größeren Häusern wissentlich getäuscht wurden, sei „nicht richtig", sagt Schiemenz.


Kommentar

Abgrund

VON MICHAEL ISENBERG
Für Bauherren ist es ein Albtraum: Ein Beamter vom Baurechtsamt kommt vorbei, legt den Meterstab an und stellt fest: Das Haus ist zu groß, zu breit, zu tief, zu hoch. In Zazenhausen ist dieser Albtraum real geworden. Weil dort zwölf Doppelhaushälften 80 Zentimeter zu weit aus dem Hang ragen, fordert die Stadt Stuttgart den Rückbau der 80 Zentimeter. Das heißt: Abbruch. Andere Häuser im selben Baufeld sind einen halben Meter zu hoch. Hier deutet die Stadt Gnade an.
Die Häuser sind alle nach dem sogenannten Kenntnisgabeverfahren gebaut worden. Dabei ist keine klassische Baugenehmigung nötig. Stattdessen verpflichtet sich der Bauherr, dass er den Bebauungsplan einhält. Das Verfahren funktioniert, wenn sich alle Beteiligten an Recht und Gesetz halten. Wo das nicht der Fall ist, tut sich ein Abgrund auf. Städtetag und Architektenkammer wollen das riskante Verfahren deshalb abschaffen.
Für die gebeutelten Bauherren von Zazenhausen ist das kein Trost. Bei der Firma, die für den Pfusch — und womöglich für einige weitere Delikte — verantwortlich ist, dürfte kaum noch etwas zu holen sein. Trotzdem ist die konsequente Aufklärung der Sachverhalte wünschenswert.
Bleibt die Stadt. Soll sie auf dem Abriss der 80 Zentimeter beharren? Was für manche Bauherren den Ruin bedeuten kann? Oder soll sie beide Augen zudrücken? Und damit einen Missstand legalisieren, der auf anderen Baustellen wieder bestraft wird? Und sich von einer Pfusch-Firma auf der Nase herumtanzen lassen?
Wer vernünftig handeln will, muss auch verhältnismäßig handeln. Und nicht alles, was richtig ist, ist auch gerecht. Das sollte das Baurechtsamt bedenken, wenn es in Zazenhausen das letzte Wort spricht.



Baugebiet in Zazenhausen: Die Untergeschosse der Häuser (links) sind zu groß -
hier verlangt die Stadt den Rückbau. Zu hohe Gebäude (rechts) könnten nachträglich
genehmigt werden. - Foto: Leif Piechowski

VON MICHAEL ISENBERG UND RAINER WEHAUS, Stuttgarter Nachrichten vom 19.11.2012
www.stuttgarter-nachrichten.de

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