Die Entscheidung für das Großprojekt, das zirka 3500 Wohnungen vorsieht, fand im Gemeinderat breite Zustimmung. Die aufgebrachten Anwohner konnten die anwesenden Gemeinderäte jedoch mit keinem Argument überzeugen. Allen voran beklagten die Bauern den Verlust der größten zusammenhängenden Landwirtschaftsfläche mit den besten Böden Stuttgarts. „Eine Frechheit" und „das letzte Urteil über Zazenhausen" sei das Bauvorhaben. Ein Bürger fühlte sich „verschaukelt", denn „wir mußten hier die Baugenehmigung für jedes Haus erkämpfen, und nun betoniert man die ganze Landschaft zu - einfach so".
Wohnungsnot besteht, das sehen auch die Zazenhäuser ein. „Aber warum ausgerechnet bei uns bauen? Warum nicht da, wo es bereits eine Infrastruktur gibt", fragt ein aufgebrachter Bürger. „Vielleicht in Sillenbuch bei den Großkopfeten", merkt sein Nachbar spitzig an. Die Amerikaner gehen doch bestimmt in einigen Jahren, so lange dauert auch der Bau von „Viesenhausen". Außerdem könnte man in jedem Stadtteil zehn Prozent der Wohnungssuchenden integrieren und nicht in der Trabantenstadt isolieren, jedenfalls alles dezentral - irgendwie. Uberhaupt sei die Wohnungsnot hausgemacht, immer mehr Singles verstopfen den Markt. „Und wieso braucht jeder 18jährige eine eigene Wohnung?" Damit erntete der Redner großen Beifall.
In ohnmächtigem Trotz sträuben sich die Anwesenden gegen das offenbar alles überwiegende Argument Wohnungsnot. Zudem befürchten die Zazenhäuser ein Ghetto von Aussiedlern und sozial Schwachen mit hoher Kriminalitätsrate. Weible: „Es fragt sich, ob es sozialer ist, das Gebiet intakt zu lassen, oder einen gewissen Menschenschlag in ein Ghetto zu bringen." Je markiger die Äußerungen, desto heftiger der Beifall.
Einen Fürsprecher auf seiten der Gemeinderäte fanden die Zazenhäuser in Dietmar Reinborn (Grüne). Er verwies auf die großen klimatischen Auswirkungen der Trabantenstadt und darauf, daß solche Kunstprodukte sozial nie funktioniert hätten. Ein weiterer Kritikpunkt ist die gleichzeitig mit dem neuen Stadtteil angestrebte Nordumgehung Stuttgarts, die die B 27 mit der L 1100 zwischen Remseck und Stuttgart verbindet. „Durch die Hintertür", so Reinborn, „werde ein landschaftszerstörendes Straßenprojekt eingeführt."
Die Anbindung des Stadtteils auf der grünen Wiese an den Verkehr erscheint insgesamt problematisch. Die Zufahrtsstraßen nach Stuttgart sind ohnehin verstopft. Die Stadt wünscht sich eine Verlängerung der Linien U 5 und U 14 zum Viesenhäuser Hof. Doch Reinborn gab zu bedenken, daß die SSB einem solchen Vorhaben eher ablehnend gegenübersteht. Eine Verknüpfung mit dem S-Bahnnetz über Kornwestheim ist unrealistisch, da die S-Bahn bereits ihre Belastungsgrenze erreicht hat.
Nun wehren sich die Zazenhäuser mit einer Unterschriftenliste gegen das Bauprojekt. Schon 300 Unterschriften sind gesammelt. Daß sich die rund 1000 Bürger des Fleckens gegen eine geplante Stadt, die ein Vielfaches der Einwohnerzahl haben wird, durchsetzen kann, ist unwahrscheinlich. „Es ist nie zu spät, sich für etwas einzusetzen", sagt Weible, doch im gleichen Atemzug gibt er resignierend zu, „verhindern werden wir den Bau wohl nicht mehr".
Die Bürgerversammlung fand zu einem Zeitpunkt statt, als alles längst entschieden war. Die Trabantenstadt Viesenhausen wird gebaut werden - das gilt als sicher. Ihre Planung ist das Ergebnis einer Notlage. Nun gilt es, dafür zu sorgen, daß die neue Stadt nicht auch das Gesicht einer Notlösung erhält.
Einen Fürsprecher fanden die Zazenhäuser Bürger
in Stadtrat
Dr. Dietmar Reinborn (2. von links)
Über 200 Gäste machten bei der Podiumsdiskussion
wegen der (bereits entschiedenen?)
Bebauung des Viesenhäuser Hofs ihrem Unmut Luft. Fotos: Kirchner (2)/Archiv |
|
IHR NAHERHOLUNGSGEBIET wollen die Zazenhäuser durch das geplante Wohngebiet nicht zerstört sehen. |
[ zur Homepage ] [ Schließen ]