Bröckelnde Infrastruktur in Zazenhausen

Ein vergessenes Dorf stirbt

Das letzte Lebensmittelgeschäft soll einem Videoshop weichen

Die Besitzer der schmucken neuen Einfamilienhäuser in den Kirchäckern in Zazenhausen wissen um die Vorteile ihrer Wahlheimat: Sie wohnen mitten im Grünen und müssen auf die Annehmlichkeiten der nahen Großstadt nicht verzichten. Trotz der steigenden Bevölkerungszahl stirbt aber das dörfliche Eigenleben des zum Stadtbezirk Zuffenhausen gehörenden Fleckens zusehends. Nachdem kürzlich die Coop AG das Haus in der Schertelstraße, das bisher den einzigen Lebensmittelladen im Ort beherbergte, verkaufte, droht nun ein weiteres Stück der Versorgungsstruktur des „vergessenen Dorfes" verlorenzugehen.

„Wenn wir das gewußt hätten, dann hätten wir das nie durchgehen lassen", zeigt sich Wolfgang Meyle, Bezirksvorsteher von Zuffenhausen, verärgert. Die SPD-Stadträte Werner Neuffer und Helmut Walz beklagen, daß Stadtplanungsamt und Liegenschaftsamt „in Unkenntnis der örtlichen Verhältnisse" eine Vorverkaufsverzichtserklärung abgegeben hätten. In einem Antrag der Zuffenhäuser CDU-Stadträte wird die Stadtverwaltung aufgefordert, „sich bei Coop dafür zu verwenden, daß die Filiale Zazenhausen solange erhalten bleibt, bis neue Einkaufsmöglichkeiten geschaffen sind".

Laut Vertrag wird Coop das Geschäft im alten Zazenhäuser Ortskern bis Ende des nächsten Jahres betreiben. „Dann können wir nur noch auf ein Wunder hoffen", meint eine der Verkäuferinnen, die nicht nur um ihren eigenen Arbeitsplatz bangt, sondern auch davon überzeugt ist, daß die Schließung des Lebensmittelladens auch dem Bäcker und dem Metzger in dem 1300 Einwohner zählenden Stadtteil geschäftlich schaden wird: "Wenn alle Zazenhäuserer zum Lebensmitteleinkauf in die Stadt fahren müssen, bringen sie auch Brot und Fleisch von dort mit." Vor kurzem erst hat auch der Drogeriemarkt geschlossen.

„Natürlich trifft das Abwandern der Geschäfte nur eine Minderheit, vor allem die älteren Bewohner, für die es zu beschwerlich ist, bis nach Freiberg zu laufen", räumt Bezirksvorsteher Meyle ein, „aber es geht doch auf jeden Fall ein Stück Lebensqualität verloren." Er plädiert dafür, das Geschäft auch über 1986 hinaus im alten Ortskern zu lassen. Der Vorschlag der CDU-Stadträte, im geplanten Neubaugebiet Sturmfederstraße, das demnächst verwirklicht werden soll, eine Einkaufsmöglichkeit zu schaffen, hält Meyle für eine denkbare, nicht aber für die ideale Lösung. Denn die Bewohner dieser Häuser seien wohl am wenigsten darauf angewiesen.

Die zuständige Coop-Gebietsleitung hat den Verkauf des Gebäudes Schertelstraße 13 bestätigt. Nicht festlegen will sich der Gebietsleiter, was die Zukunft des Geschäfts nach Ablauf des Vertrages anbelangt. Bezirksvorsteher und Bürgerverein von Zuffenhausen haben allerdings in Erfahrung gebracht, das Haus sei an den Betreiber eines Videoservices verkauft worden. Was aber ein Videoshop zur Aufwertung des Zazenhäuser Dorfkerns beitragen könnte, fällt nicht nur Bezirksvorsteher Meyle schwer herauszufinden.

Von tip, aus einer Zeitung, 12. Februar 1985

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