Der berechtigte Wunsch nach Entlastung darf aber nicht dazu führen, den Verkehr nach dem Sankt-Florians-Prinzip von einer Straße in die andere zu schieben, von einer Gemeinde in die andere.
Vom Nordostring hätten Ludwigsburg und Kornwestheim wenig, von der jetzt vom Regierungspräsidium vorgestellten neuen Neckarbrücke gar nichts. Sicher, einzelne Straßen würden entlastet werden. Dies aber zum größten Teil nur in einem so geringen Ausmaß, dass es von den Anwohnern nicht einmal bezüglich des Verkehrslärms wahrgenommen würde. Andere Straßen und Anwohner würden dafür neu belastet werden.
In Ludwigsburg bekäme beispielsweise die östliche Friedrichstraße weniger, die B 27 mehr Verkehr. Probleme lassen sich so nicht lösen. Und Remseck könnte mit einer ortsnahen neuen Brücke eine viel größere Entlastung erfahren als mit dem Nordostring und der jetzt vorgestellten Brückenlösung. Erkaufen würde man sich die fragwürdigen Verbesserungen dadurch, dass man einen Freiraum von landesweiter Bedeutung zerstört, in dem man eine Autobahn mitten durch ein heute noch weitgehend unzerschnittenes Gebiet baut. Alle Gutachten des Regierungspräsidiums und des Regionalverbands über die Umweltverträglichkeit eines Nordostrings fällen ein vernichtendes Urteil. Über 100 000 Bürger würden dadurch ihr Erholungsgebiet verlieren, Zehntausende zusätzlich Tag und Nacht mit Verkehrslärm belastet.
Erkaufen würde man es sich auch dadurch, dass man weiträumig Fernverkehr in den Norden des Großraums Stuttgart zieht, der hier nur durchfahren würde und bisher ganz andere Routen (zum Beispiel auf den Autobahnen) nutzt. Denn darin sind sich die Gutachter ebenso einig: Der Nordostring würde von 70 000 bis 90 000 Kraftfahrzeugen am Tag befahren und neue Verkehrsströme anziehen.
Der Nordostring ist keine Planung zur Entlastung der Bürger, sondern zur Förderung des überregionalen Durchgangsverkehrs. Wenn man die Bürger in der Region vom Straßenverkehr entlasten will, ist der Nordostring die schlechteste aller Maßnahmen. Er bewirkt nämlich genau das Gegenteil: Er erhöht das Gesamtverkehrsaufkommen stark und zerstört dabei einen wunderbaren Lebensraum, wie es ihn in unserem Ballungsraum kein zweites Mal gibt."
Gute Gründe für den Nordostring gibt es nach Ansicht der Initiative, der rund 50 Bürger vor allem aus Ludwigsburg, Remseck und Kornwestheim angehören, jede Menge. Die Verkehrsbelastung im Ballungsraum Stuttgart müsse gerechter verteilt, die Gesundheitsgefahr durch Feinstaub so weit wie möglich eingedämmt werden. Der Tangentialverkehr im Norden und Osten Stuttgarts brauche vernünftig ausgebaute Straßen, so dass der hohe Anteil an Schwerlastverkehr aus den betroffenen Städten herausverlagert werde. Außerdem profitiere die Wirtschaft vom Nordostring. „Es ist für uns unglaublich, dass weit weniger wirtschaftsstarke Regionen Straßen zur Verfügung haben, von denen wir nur träumen können", erklärt Gabriele Moersch.
Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, das Thema Nordostring voranzutreiben und einen Konsens unter den betroffenen Städten herzustellen, ohne sich jedoch in deren Planungen einzumischen. „Wir sind bewusst überparteilich und überregional", betont Hermann Dengel. Von der Tatsache, dass der Bundestag den Nordostring als Gesamtmaßnahme im Bundesverkehrswegeplan in die hinterste Reihe der Prioritätenliste verwiesen hat, lässt sich die Initiative nicht entmutigen. Sie setzt nun zunächst einmal auf die „kleine Lösung", für die die geplante Brücke, die zwischen Aldingen und Mühlhausen über den Neckar führen soll (wir berichteten), ein wichtiger erster Schritt sei. „Das ist für uns ein Anfang. Es muss dann aber zügig weitergehen", stellt Hermann Dengel fest.
In den vergangenen vier Monaten hat die Initiative Gespräche mit den Bürgermeistern der betroffenen Städte, mit dem Landratsamt, dem Verband Region Stuttgart, dem Umwelt- und Verkehrsministerium und der IHK Stuttgart geführt, um deren Positionen zum Nordostring abzuklopfen. „Es waren gute, wichtige Gespräche, bei denen wir sehr weit gekommen sind", erklärt Gabriele Moersch. In Ludwigsburg, Remseck, beim Landratsamt und bei der Region Stuttgart beispielsweise gebe es eine große Zustimmung für den Nordostring. In Kornwestheim sei das Gespräch mit Bürgermeister Michael Köpple sehr gut gelaufen- „viel besser, als wir geglaubt hatten", sagt Gabriele Moersch. Zwar gebe es dort Bedenken wegen des Trassenverlaufs, doch wolle man auf jeden Fall im Gespräch bleiben. Gegen den Nordostring habe sich hingegen Fellbach ausgesprochen, auch Waiblingen stehe dem Thema kritisch, wenngleich offen gegenüber.
Die überwiegende Zustimmung bestärkt die Initiative in ihrer Arbeit - doch wie der Nordostring finanziert werden könnte, steht auf einem anderen Blatt. Die Initiative hofft, dass sich die Wirtschaft bei der Finanzierung mit ins Boot nehmen lässt, wie es in anderen Teilen Deutschlands schon geschehen sei. Ein nachahmenswertes Zeichen habe hierbei die IHK Region Stuttgart gesetzt, die die Planungskosten für die Neckarbrücke bei Aldingen mit 25 000 Euro sponsern wolle. Außerdem müssten nach Ansicht der Initiative Pro Nordostring Mautgelder zum Einsatz kommen. Schließlich erhalte das Verkehrsministerium Baden-Württemberg durch die Maut mehr Geld zurück als geplant.
"Wir sind uns bewusst, dass es ein sehr dickes Brett ist. Aber wir haben auf jeden Fall schon mal zu bohren begonnen", meint Peter Kuhn, früherer Remsecker Bürgermeister und Vorkämpfer für den Nordostring Hermann Dengel ergänzt: „Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir auch die Gegner mobilisieren werden. Aber denen sagen wir: Von einem starken Wirtschaftsstandort profitieren alle. Die Nachteile müssen aber gerecht verteilt werden. Es kann nicht sein, dass ein Teil der Region die ganze Belastung tragen muss."
Das nächste Ziel der Initiative Pro Nordostring: Ihr Anliegen mit Info-Veranstaltungen an die Öffentlichkeit tragen und mit Bundestags- und Landtagskandidaten in den Dialog zu treten.
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