Sind Gutachten zum Nord-Ost-Ring Makulatur?

Fellbach. Die Stadtverwaltung wirft dem Regierungspräsidium Täuschung vor. Die Aufsichtsbehörde ist entrüstet.

Wurde die Öffentlichkeit vom Regierungspräsidium in Sachen Neckarbrücke bewusst getäuscht? Mit dieser Frage ist die Fellbacher Stadtverwaltung am Donnerstag an die Öffentlichkeit gegangen. Anlass ist das Auftauchen von Verkehrsdaten aus dem Jahr 2007, die in der Planung für eine neue Neckarbrücke auf der Trasse eines künftigen Nord-Ost-Rings bisher keine Rolle spielten. Das Regierungspräsidium zeigte sich gestern empört über das Vorgehen der Stadt Fellbach: Der Vorwurf bewusster Täuschung sei „ein Tiefpunkt in der Debatte", sagte Pressesprecher Peter Zaar, „da ist eine Grenze überschritten", das Regierungspräsidium sei schließlich Aufsichtsbehörde. Enttäuscht über das Vorgehen der Stadt zeigte sich Zaar auch, weil er von den Vorwürfen erst durch unsere Anfrage erfahren habe.

Die Verkehrszahlen, die dem Planfeststellungsverfahren für die neue Neckarbrücke zugrunde liegen, sind von Fellbach und Kornwestheim sowie von der Arge Nordost bisher stets angezweifelt worden. Zuletzt wurden die Vorwürfe beim Erörterungstermin zur dritten Planauslage im Februar 2010 vorgetragen. „Das Regierungspräsidium legt nun durch Herausgabe von Unterlagen aus dem Jahr 2007 den Verdacht nahe, dass die Öffentlichkeit bereits bei der ersten Anhörung im Sommer 2007 über die aktuellen Verkehrsbelastungen in und um Remseck herum bewusst getäuscht wurde", behauptet die Stadt Fellbach in ihrer Pressemitteilung. Das RP habe im Februar und März 2007 an sieben Zählstellen zwischen Kornwestheim, Remseck, Fellbach und Waiblingen den Verkehr über 24 Stunden hinweg erfassen lassen. An sechs Zählstellen sind gegenüber den Analysezahlen aus dem Jahr 2005 Rückgänge im Kraftfahrzeug- und im Schwerverkehr von mindestens 7 bis zu 29 Prozent zu verzeichnen gewesen. Lediglich zwischen Hegnach und Waiblingen wurden mehr Fahrzeuge gezählt. Ein Umstand, den die Stadt Fellbach auf die Eröffnung der Westumfahrung Waiblingen und den dort kontinuierlich anwachsenden Verkehr zurückführt. An die Zahlen herangekommen ist die Stadtverwaltung zusammen mit der Arge Nord-Ost bei einem Besuch im Regierungspräsidium, als Einsicht genommen wurde in ein Verkehrsgutachten, erklärte Bürgermeisterin Beatrice Soltys auf Anfrage.

Die Zählung aus 2007 bestätigt nach ihrer Meinung, dass in dem Planfeststellungsverfahren für die neue Brücke zu hohe Verkehrsmengen behauptet werden. Im vergangenen Jahr haben Fellbach und Kornwestheim deshalb nachzählen lassen und festgestellt, dass die Belastung der Straßen niedriger ist. Das Regierungspräsidium sowie die Industrie- und Handelskammer haben die Ergebnisse mit der Weltwirtschaftkrise und dem eingebrochenen gewerblichen Verkehr begründet. Die jetzt zugänglich gemachten Daten aus dem Jahr 2007 beweisen nach Ansicht der Stadtverwaltung allerdings, dass dies nicht der Fall sein kann. Es werde ein spürbarer Verkehrsrückgang bereits im Frühjahr 2007 attestiert, zu einer Zeit also, als sich die Konjunktur in einer absoluten Hochphase befand. Nun liege der vom Regierungspräsidium selbst gelieferte Beweis vor, dass die Verkehrszahlen der Analyse überzogen und falsch seien. Soltys: „Dann müssen logischerweise alle Prognosen in die Zukunft und alle darauf aufbauenden Gutachten ebenfalls falsch und fehlerhaft sein. Die Präsentation des überarbeiteten Fernwirkungsgutachtens zum Thema Lärm mit rund 2000 Seiten Inhalt wird damit ebenfalls zur Farce." In einer Pressemitteilung hauen die Grünen im Landtag in dieselbe Kerbe: „Alle Gutachten, die sich auf die falsche Verkehrsprognose gründeten, können somit getrost eingestampft werden", schreibt der Abgeordnete Jürgen Walter. Er erwarte von Regierungspräsident Johannes Schmalzl (FDP), dass er die Notbremse ziehe. Die Arge Nordost wird am Freitagvormittag in einer Pressekonferenz in Oeffingen das Thema ebenfalls aufgreifen.

Nach Angaben von RP-Pressesprecher Zaar sind die Zählergebnisse von 2007 weder neu noch vergleichbar mit Verkehrszählungen 2005 und 2009. Mit der 24-Stunden-Zählung im Jahr 2007 sei das Verhältnis von Lastwagen und Autos ermittelt worden, das werde für Lärmgutachten benötigt. Durchschnittliche Tagesverkehrswerte könnten mit dieser Methode nicht gewonnen werden. Und die Zählergebnisse von 2007 seien bereits 2008 teilweise in ein Lärmgutachten eingeflossen."

Von Gerhard Brien, Fellbacher Zeitung vom 11.06.2010
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