Gibt es für das Regierungspräsidium Stuttgart Bürger erster und zweiter Klasse? Diese Frage beschäftigt die Arge Nord-Ost und auch andere Beteiligte der Erörterungsverhandlungen seit der vergangenen Woche. Hintergrund ist die Tatsache, dass die geplante neue Neckarbrücke bei Aldingen die umliegenden Städte nicht etwa vom Verkehr entlasten, sondern ihnen im Gegenteil mehr Verkehr bringen würde. Um die Auswirkungen auf die Anwohner festzustellen, hat das Regierungspräsidium (RP) kurzfristig ein ausführliches Gutachten erstellen lassen, in dem es darum geht, wo möglicherweise Schallschutzfenster notwendig werden.
Am Montag nun kritisierte die Arge Nord-Ost in einer Pressemitteilung, dass es dabei Bürger erster und zweiter Klasse gebe. Die neue Neckarbrücke bei Aldingen bringt unter anderem Hegnach und Waiblingen mehr Verkehr und damit auch mehr Lärm. Damit die Stadt Waiblingen dennoch auf der Seite der Brückenbefürworter bleibt, so die Darstellung der Arge, hatte das Regierungspräsidium der Stadt im Fall des Baus der Brücke umfangreichen Lärmschutz zugesagt, und zwar ab einer Belastung von 60 Dezibel nachts und 70 dB(A) tags. Die anderen von der Lärmzunahme betroffenen Städte Fellbach, Kornwestheim und Ludwigsburg sollten ursprünglich leer ausgehen. Hier hatte das RP die Lärm-Fernwirkung auf die Einwohner nicht oder nicht ausreichend untersucht. Das vor etwa zwei Wochen veröffentlichte Gutachten sei erst auf Drängen der Arge Nord-Ost in Auftrag gegeben worden.
Darin waren jetzt zwar auch einzelne Straßen in den Städten Ludwigsburg, Kornwestheim und Fellbach untersucht worden, Lärmschutz aus gesundheitlichen Gründen sei aber erst von 63 dB(A) nachts und 73 dB(A) tags vorgesehen, behauptet die Bürgerinitiative. In der Erörterung am Donnerstag machte die Arge Nord-Ost darauf aufmerksam, dass die Stadt Waiblingen bei ihrer Zustimmung von der Zusage des RP ausgegangen ist, dass ab Überschreitung der 60/70 Dezibel-Grenze Lärmschutzmaßnahmen finanziert würden. Dies wurde vom RP heftig abgestritten. Erst als die Arge dies anhand der entsprechenden Gemeinderatsdrucksache schwarz auf weiß belegen konnte, gab das RP klein bei. Das RP wolle nun in allen betroffenen Städten Lärmschutzfenster oder -wände finanzieren, wenn die Schwellenwerte 60/70 dB(A) überschritten sind und es durch die geplante Brücke zu einer weiteren Zunahme des Lärms käme.
Tatsächlich ist die Sache wohl komplizierter. Auf unsere Anfrage hin verwies der Pressesprecher des Regierungspräsidiums, Peter Zaar, auf die Seiten 9 bis 11 des Gutachtens. Beeinträchtigungen beginnen demnach bereits bei Dezibel-Werten von 64 tagsüber und 54 nachts. Falls ein solcher Geräuschpegel als Folge des Brückenbaus erstmals überschritten wird oder sich „wesentlich erhöht", dann müssten die Gebäude nach der Verkehrslärmschutzverordnung geschützt werden. Unter dem Begriff „wesentlich erhöht" sind mindestens 3 dB(A) zu verstehen - das entspricht einer Verdoppelung des Verkehrs und auch der Lärmintensität. Bei mehr als 63 dB(A) nachts und 73 dB(A) tagsüber geht"s an die Gesundheit, da genügen schon geringe Überschreitungen, um Anspruch auf Lärmschutz zu begründen.
Aber vielleicht ist das alles sowieso irrelevant. „Der Bau der Brücke ist heute unwahrscheinlicher denn je", sagt Arge-Sprecher Joseph Michl. Die Erörterung habe deutlich gezeigt, „dass eine Brücke an dieser Stelle keinen Sinn macht".
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