Anspruch auf Lärmschutz haben nicht alle

Fellbach/Stuttgart. Das Regierungspräsidium wird das Lärmgutachten im Zusammenhang mit dem Neubau einer Neckarbrücke noch einmal überarbeiten.

Auf nachhaltiges Drängen unter anderem der Stadt Fellbach wird das Regierungspräsidium (RP) Stuttgart das Lärmgutachten im Zusammenhang mit den Plänen für den Neubau einer Neckarbrücke überarbeiten lassen. Dies ist eines der Ergebnisse der Erörterungsverhandlung in dieser Woche, teilte die Fellbacher Baubürgermeisterin Beatrice Soltys auf Anfrage mit. Wie berichtet, hat eine Untersuchung ergeben, dass der Bau der geplanten Brücke auf der Trasse eines Nord-Ost-Rings in manchen innerörtlichen Straßen der Kommunen ringsum die Lärmbelastung erhöhen würde - weil dort auch der Verkehr zunimmt. Für insgesamt 272 Gebäude prognostizieren die Experten mehr Lärm, als gesundheitlich verträglich ist. In Schmiden sollen es 27 Gebäude sein, noch stärker betroffen sind Waiblingen, Ludwigsburg und Kornwestheim.

In der Fortsetzung der Verhandlung am Donnerstag haben Soltys und andere Mitstreiter insbesondere auch die Qualität des Lärmgutachtens hinterfragt. Zu dem Gutachten selbst haben die Bürgermeister keine Stellung genommen, sagte Beatrice Soltys, „weil wir uns innerhalb einer guten Woche schlichtweg nicht in die Unterlagen einarbeiten konnten". Vertreter der Arge Nordost haben aber beispielsweise nachgewiesen, dass die für das Gutachten verwendeten Katasterunterlagen veraltet seien und dass neue Häuser, die in der Lärmschneise liegen und deshalb Lärmschutzfenster bezuschusst bekommen müssten, gar nicht berücksichtigt worden seien. Das Regierungspräsidium habe sich damit entschuldigt, dass es schnell gehen musste, berichtete Soltys.

Nicht einverstanden sind die Vertreter der betroffenen Städte auch mit den gewählten Grenzwerten. Als Schwellenwert definieren die Gutachter nachts 63 Dezibel, tagsüber 73 Dezibel (dB(A)). Zu hoch, sagt Beatrice Soltys. 60 und 70 dB(A) seien richtig. Das ist kein Pappenstiel, denn jeweils drei dB(A) bedeuten eine Verdoppelung der Schallintensität. Als Ergebnis wurde zugesagt, das Gutachten in den nächsten vier Wochen zu überarbeiten, vor allem auch mit den Schwellenwerten 60 und 70 dB(A). Der Verhandlungsführer Michael Trippen habe allerdings deutlich gemacht, so Beatrice Soltys, dass ein Rechtsanspruch auf passiven Lärmschutz - in der Regel Schallschutzfenster - nur die Eigentümer hätten, deren Gebäude im ersten Gutachten genannt wurden. Alles andere sei freiwillig.

Fellbachs Stadtverwaltung wird bereits in der nächsten Woche an die Bewohner der betroffenen Häuser schreiben und sie auf die Problematik hinweisen. Gestern ist im Rathaus das Gutachten auch in Papierform angeliefert worden - die 125 Seiten Text und mehr als 1800 Seiten Tabellen lagen bisher nur digital vor. Wer sich für das Werk interessiert, und es wird vor allem die Bewohner in der Fellbacher Straße, in der Oeffinger Straße sowie die Anlieger in der Schmidener Ortsdurchfahrt der Kreisstraße K 1910 interessieren, kann das Gutachten im Rathaus ansehen. Zu finden ist es auch auf den Internet-Seiten des Regierungspräsidiums unter der Adresse www.rp.baden-wuerttemberg.de .

In der Erörterung am Donnerstag haben sich die Kontrahenten auch noch einmal in den Vergleich der Varianten zum Brückenstandort vertieft. „Ich habe den Eindruck, dass nicht sauber und objektiv geprüft wird", sagte Beatrice Soltys. Auch Alt-OB Friedrich-Wilhelm Kiel, der sich für die Variante 4.3 einsetzte, äußerte im Nachhinein diese Ansicht. „Das alles ist keine geeignete Grundlage, um das Planfeststellungsverfahren durchzuführen", sagte Beatrice Soltys, „die Stadt bleibt deshalb bei kompletter Ablehnung". Zwei Tage habe man über fehlerhafte Gutachten diskutiert, „ich gehe mit einem schalen Gefühl aus der Erörterung heraus". Wenn die Zahlenbasis nicht stimme, „dann stimmt alles nicht".

Es ärgert die Baubürgermeisterin auch, dass die Interessen der Stadt Remseck im Regierungspräsidium ernst genommen würden, die Belange anderer Kommunen allerdings nicht. Und dass der Mensch offenbar kein „schutzwürdiges Gut" sei, wohl aber die Vogelpopulation, für die eine Lärmschutzwand gebaut werden soll, „das kann niemand verstehen".

Von Gerhard Brien, Fellbacher Zeitung vom 13.02.2010
www.stuttgarter-nachrichten.de

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