Auf dem großen Vorplatz des Regierungspräsidiums (RP) versammeln sich gegen 14.30 Uhr mehr als 100 Demonstranten. Unter ihnen einige Landwirte aus Mühlhausen oder Oeffingen, die trotz heftigem Schneetreiben und vereisten Straßen mit ihren Traktoren quer durch die Landeshauptstadt hinauf nach Stuttgart-Vaihingen getuckert sind. Einer hat seinen Trekkeranhänger mit einer Ladung Mist bestückt und ein Plakat hineingesteckt; Aufschrift: „Brückenplanung stinkt zum Himmel!"
Drinnen im Saal treffen sich dann Rathauschefs, Stadtbaumeister, Naturschützer und engagierte Bürger zur mittlerweile dritten Erörterungsverhandlung. Die beiden ersten in den Jahren 2006 und 2008 hatten jeweils in der Fellbach Schwabenlandhalle stattgefunden. Dass jene, die das Thema besonders interessiert, nun gar in den weit entfernten Stuttgarter Stadtteil reisen müssen, bringt dem RP Hohn und Spott ein. Offenbar sei Regierungspräsident Johannes Schmalzl von der großen Zahl der Gegner derart eingeschüchtert, dass er lieber „weitab vom Geschehen" tagen lasse, lästert ein Fellbacher CDU-Mann.
Mit Transparenten und schwerem Gerät rücken die Gegner des Nordostrings am
Mittwochnachmittag
zum Erörterungstermin im Regierungspräsidium in Vaihingen an. Foto: Franziska
Kraufmann
Verhandlungsleiter Michael Trippen nutzt gleich zu Anfang die Gelegenheit, kürzliche Äußerungen von Fellbachs OB Christoph Palm zu korrigieren. Hat der Schultes doch noch am Dienstag erklärt, das Regierungspräsidium wolle nach dem Motto „Augen zu und durch" die Neckarbrücke noch im Februar durchpeitschen. Das sei völliger Unsinn, sagt Trippen: „Ich sage Ihnen verbindlich, der Planfeststellungsbeschluss wird nicht im Februar erlassen, und das war auch nie vorgesehen."
Doch der nächste Vorstoß der Brückengegner folgt sogleich. Palm, zugleich CDU-Landtagsabgeordneter und nach der Ministerpräsidentenwahl vom Landtag herbeigeeilt, setzt sich an die Spitze jener Rathauschefs, die vehement die Verschiebung der ganzen Erörterung beantragen. Begründung: das erst vor eineinhalb Wochen vorgelegte sogenannte Fernwirkungs- und Lärmgutachten zu den Folgen einer neuen Neckarbrücke. Dieses 2000 Seiten starke Werk sei vor zehn Tagen „aus dem Hut gezaubert" worden. Doch binnen dieser kurzen Zeit sei es auch für eine Stadtverwaltung unmöglich, diesen Wälzer seriös zu prüfen.
Trippen lehnt die verlangte Verschiebung rundweg ab. Die Stimmung droht zu kippen, einzelne Zuhörer fordern empört den Auszug aus dem Saal. Während Trippen hinaus eilt, um die neusten Anweisungen seines Chefs Schmalzl einzuholen, ergreift Fellbachs Alt-OB Friedrich-Wilhelm Kiel unter allgemeinem Gejohle, Tröten- und Rätschenlärm das Mikrofon: „Wenn es darauf hinausläuft, dass einige den Saal verlassen, weil sie sich das nicht gefallen lassen wollen, dann müssten wir alle gehen." Zu diesem Eklat kommt's allerdings nicht, denn Trippen kehrt mit der Botschaft zurück, dass Regierungspräsident Schmalzl zu einer „Fristverlängerung" bereit ist. Stellungnahmen können die Städte und die Bürger nun doch noch bis Mitte April abgeben.
Aus der Defensive kommen die RP-Vertreter, die rund um Chefplaner Jürgen Holzwarth „eine ganze Korona von Experten für die verschiedensten Themen" (Trippen) aufgeboten haben, freilich auch anschließend nicht. Fellbachs Tiefbauamtsleiter Wolfgang Schmidt moniert die fehlerhaften Verkehrszählungen in den bisherigen Gutachten speziell zur bestehenden Neckarbrücke bei Remseck. Seine Diagnose: „Wie will ein Gutachter in die Zukunft reflektieren, wenn er nicht mal die Gegenwart kennt?"
Nicht berücksichtigt hat das RP nach Einschätzung der Kritiker auch das für Anfang März angekündigte Fahrverbot für Lastwagen im Stuttgarter Stadtgebiet und die sich daraus ergebende Verdrängung der Brummis ins Umland. Schmidts Fazit, erneut von frenetischem Beifall begleitet: „Die Brücke ist der Anfang des Nordostrings - dagegen werden wir uns weiter wehren."
Ob sich das Stuttgarter Regierungspräsidium durch die gestrigen Attacken und die noch bis April zu erwartenden Einsprüche beeindrucken lässt, bleibt abzuwarten. Unwahrscheinlich ist aber, dass dieses mit 22 Millionen Euro veranschlagte Brückenprojekt nach dem langen Planungszeitraum einfach sang- und klanglos abgeblasen wird. Dann jedoch sind Klagen der Gegner unausweichlich. Und Fellbachs OB Palm ist sich sicher: „Auch im Regierungspräsidium weiß man, dass die Wahrscheinlichkeit, vor Gericht zu obsiegen, gering ist."
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