Immer wenn man glaubt, man habe schon alles erlebt im Nordost-Absurdistan, tut
sich unverhofft ein neuer Ausblick auf. Gestern bei der Erörterungsverhandlung in
der Fellbacher Schwabenlandhalle zur Andriof-Brücke: Um die Befürchtung
der Brückengegner, dass dieses Bauwerk überregionalen Schwerlastverkehr
anziehe, zu entkräften, legte das Regierungspräsidium faszinierende
Prognose-Zahlen vor.
Baue man die Aldinger Brücke nicht, würden über die bereits
bestehende erste Neckarquerung in Neckarrems im Jahr 2020 gut 4300 Lkw
pro Tag rollen. Werde aber die zweite Brücke gebaut, dann müssten
beide Flussüberfahrten zusammen im Jahr 2020 insgesamt weniger als
3000 Lastwagen aushalten.
Mit anderen Worten: Hä?
Noch mal ganz langsam: Das Regierungspräsidium will via Andriofbrücke
die Wirtschaftsräume Kornwestheim/Ludwigsburg und Fellbach/Waiblingen
verknüpfen - und erklärt, dass eine flüssigere Verbindung
zu weniger Lkw-Aufkommen führt?! Bauen wir mehr Straßen, damit
weniger sie nutzen?! Nur schade, dass die Brummifahrer womöglich
nicht so blöd sind, sich nach derart
wunderlichen Prognosen zu richten. Den Brückengegner Joseph Michl von der Arge
Nordost veranlassten diese Zahlenspiele gestern zu der sarkastischen Frage an die RP-Planer: "Wie viele Brücken müssen Sie bauen, um überhaupt
keinen
Lkw-Verkehr mehr zu haben?"
Noch etwas, das im ersten Moment nach der Erschließung neuer Weiten
im Lande Seltsam klingt: Der Remsecker Oberbürgermeister Karl-Heinz
Schlumberger ist dringend für die Andriofbrücke bei Aldingen
und wütend
gegen die als Billinger-Variante bekannte Alternative, eine bescheidener ausgelegte
Neckar-Querung weiter nördlich, bei Neckarrems - und gleichzeitig findet sich im Flächennutzungsplan seiner Gemeinde als ausdrückliches
Wunschprojekt
eine Brücke, die genau auf der Billinger - Trasse liegt!
Aber halt, das ist nicht Absurdistan. In diesem Falle befinden wir uns in Schlaubergerhausen: Schlumberger will nämlich beides, er will den Doppelwhopper
- erstens eine Andriofbrücke für den Durchgangsverkehr und zweitens eine
Art billingereske Zusatz-Brücke, die dann aber nur noch den lokalen Verkehr aufzunehmen bräuchte.
Ausdrücklich fordert Schlumberger übrigens nicht nur die Andriof-Brücke, sondern
auch daran anknüpfende Straßen, die schnurstracks Richtung
Kornwestheim und B10/27 führen und Richtung Waiblingen und B14/29.
Und da wäre es dann und spukte wieder: das Gespenst Nordostring.
Aber ein Nordostring von der B10/27 bis zur B14/29 verbände letztlich
die A81 im Westen mit der A8 und A7 im Osten. Er zerschnitte nicht nur
das Schmidener Feld, sondern wäre eine mittlere Katastrophe für
das ganze Remstal: Der angelockte Fernverkehr würde die B29 zur Ersatz-Autobahn
machen.
Na, na, sagen derzeit die Befürworter eines Nordostrings, wir wollen
das doch gar nicht vier-, sondern bloß zweispurig.
Nur würde sich bald zeigen: Wer zwei sagt, muss auch vier sagen.
In einem von der Stadt Waiblingen im Jahr 2003 in Auftrag gegebenen Gutachten heißt
es: Ein zweispuriger Ring würde aufgrund seiner Anziehungskraft bald
so überlastet sein vom Transitverkehr, dass "kaum noch lokale Verkehre
aufgenommen werden können" - und die würden sich
dann verstärkt von der Waiblinger Westumfahrung auf innerstädtische
Straßen zurückverlagern. Und schnell würde der Ruf nach
einer Verbreiterung des Rings laut. Deshalb ist die Billinger-Variante
eine ernstzunehmende Alternative: eine zweispurige Brücke ein paar
hundert Meter abgerückt von der ersten
bei Neckarrems, versehen mit leistungsfähigen Auffahrten, um Staus
an den Brückenköpfen zu verhindern. Von dort aus könnte
der Verkehr auf bestehenden Straßen weiterfließen. Dem regionalen
Verkehr wäre auch
mit dieser kleinen Lösung geholfen, für den überregionalen
aber ergäbe
sich keine attraktive Rennstrecke. Für das ganze Remstal wäre dies die bessere
Lösung.
Unsere Straßen packen den Verkehr nicht mehr? Also bauen wir mehr
Straßen ... Die neuen Straßen ziehen noch mehr Verkehr an? Also verbreitern
wir die
neuen Straßen... diese gestrige Logik des asphaltistischen Größenwahns
gilt es zu durchbrechen. In Zeiten des Klimawandels und der Ölknappheit,
in Zeiten, da eine CDU-Landesministerin Tanja Gönner vor ungebremstem
Flächenverbrauch warnt, in Zeiten, da eine CDU-Kanzlerin Angela Merkel
sich auch als Klimapolitikerin versteht, sollten wir aus den 70er Jahren
stammende Verkehrskonzepte wie den Nordostring verwerfen und lernen, bescheidener
zu denken, statt ewig dem Straßenbau-Motto "Immer mehr und
immer breiter" hinterherzuhecheln. Wir können auch anders!
Bild: Bernhardt
|
[ zur
Homepage ] [ Schließen ]