Morgens um 8.45 Uhr vor der Schwabenlandhalle: die übliche Protestfolklore; die
Traktoren der Bauern vom Schmidener Feld, der Fendt Turbomatik, der Deutz
Agrostar; die "Kein Nordostring!"-Schilder; die vertraute
Widerstands-Lyrik: "Jetzt Schmalzl, vorher Andriof / wollen den Lkw-Ring,
da gibt es Zoff."
Die Fronten in der Debatte sind seit Jahren klar: Das Regierungspräsidium will
bei Aldingen eine zweite Brücke über den Neckar bauen - das
entlaste die staugeplagte erste Flussüberfahrt bei Neckarrems. Die
Gegner warnen: Diese Brücke sei in Wahrheit der Einstieg in einen
Nordostring quer übers Schmidener Feld, der massenhaft Fernverkehr
durchs Remstal locke.
Viel ist in den vergangenen Monaten über den Fellbacher OB Christoph
Palm spekuliert worden - wird er unerschütterlich bleiben gegen Brücke
und Ring? Oder als CDU-Landtagsabgeordneter irgendwann einfädeln
auf die Kompromiss-Spur, wo es doch als offenes Geheimnis gilt, dass die
Landesregierung hinter den RP-Plänen steht? Eine erste Antwort gibt
Palm schon vor der Veranstaltung: Bereitwillig stellt er sich für
die Fotografen vor ein großes Protestlaken und smalltalkt fotogen
mit Joseph Michl von der Anti-Ring-Initiative Arge Nordost.
Doch selbst nach diesem richtungsweisenden Indiz verblüfft die Wucht
der politischen Öko-Vision, die er kaum eine halbe Stunde später
im Saal folgen lässt.
Palm spricht von der "politischen Großwetterlage". Die CDU
im Land hat unlängst die Idee einer zweiten Flughafen-Startbahn ad
acta gelegt; Palm zitiert aus einem Landtagsprotokoll - ein Fraktionskollege
hatte erklärt: Indem Argumente wie drohender Flächenverbrauch,
Schadstoff und Lärmbelastung berücksichtigt wurden, sei "zum
ersten Mal ein echter Ausgleich zwischen ökonomischer und ökologischer
Betrachtungsweise" gelungen.
Nur wer "ausschließlich betriebs- und volkswirtschaftlichen Betrachtungen" anhänge, könne
die Entscheidung schlecht finden. "Das ist ein deutlicher
Wandel in der Landespolitik" , kommentiert Palm - "und was für
die Fildern gilt, gilt natürlich auch für das Schmidener Feld und das Remstal insgesamt!"
Statt eines mächtigen Nordostrings, der dazu führe, dass "bei
uns Lastwagen durchfahren von Rotterdam nach Istanbul", fordert Palm
die bescheidener konzipierte Billinger-Brückenvariante bei Neckarrems
und eine Stadtbahnlinie von Markgrönigen bis Waiblingen über
Remseck und Hegnach.
Der Ölpreis wird weiter steigen, das führt zu einem "geänderten
Fahrverhalten". In einer von Klimawandel und Energiekrise geprägten
Zeit gelte es, "die Rezepte der Großeltern kritisch zu beleuchten:
zu fett, zu üppig,
zu ungesund. Was für die Küche gilt, muss auch für den
Straßenbau gelten. Wir brauchen eine Verkehrsplanung des 21. Jahrhunderts und sollten
nicht an den Konzepten des letzten Jahrhunderts festhalten." Bravo
- Rufe und langer Beifall.
Palms fulminantem Schlag lässt die Kornwestheimer Oberbürgermeisterin Ursula
Keck die Nadelstiche folgen. Die Planungsunterlagen des Regierungspräsidiums: "unzureichend".
Die Prüfung
von Alternativen wie der Billinger-Variante: "nicht sorgfältig".
Die Umweltverträglichkeitsstudie: "nicht
ordnungsgemäß".
Schwer haben es danach die Brückenbefürworter, die gut hundert
Leute im Saal sind deutlich gegen sie. Unterbrochen von Buh-Rufen sagt der Waiblinger
Oberbürgermeister Andreas Hesky: Die Brücke sei ja mittlerweile nicht
mehr so groß dimensioniert wie zunächst geplant, das "Schreckgespenst einer
vierspurigen Trasse durchs Remstal" sei damit doch "beseitigt".
Eine "Durchbindung" übers Schmidener Feld müsse allerdings folgen. "Wir
wünschen dem Planfeststellungsverfahren weiterhin viel Erfolg." - "Diese
Planung ist zustimmungsfähig" , sagt auch der Remsecker OB Karl-Heinz Schlumberger.
Die Billinger-Variante sei eine "Mogelpackung - jeder seriöse Verkehrsplaner"
wisse, dass sie in Remseck zu neuen Staus führen werde.
Noch etwas hätte neu sein können bei dieser Erörterung: Udo
Andriof, geistiger Vater der Brücke, ist im Ruhestand. Doch sein
Nachfolger Johannes Schmalzl (an diesem Morgen nicht im Saal) hat bereits vor der Erörterung
erklärt, er wolle das Projekt des Vorgängers weiter
vorantreiben. Und so trifft den Abwesenden nun Misstrauensvotum um Misstrauensvotum.
Wenn der Behördenleiter schon vorab sagt, wo's langzugehen hat, dann
ist das "nicht der beste Ausgangspunkt für ein objektives Verfahren",
sagt Christoph Palm. So werde das "Vertrauen in rechtsstaatliche Verfahren
nicht gestärkt", findet Joseph Michl von der Arge. Und aus dem
Publikum schallt zum Podium empor, wo die Planer vom RP sitzen, der beifallsumrauschte
Zuruf: "Welche Freiheit haben Sie als Beamte, wenn der Chef sagt, die Straße
wird gebaut?"
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