Kanalnetz bei Unwettern immer öfter überfordert

Stadt will mit Zisternen in Zukunft Regenfluten eindämmen

Heftige Wolkenbrüche wie vergangenes Wochenende überfordern das Stuttgarter Kanalnetz immer öfter. Das Tiefbauamt erprobt deshalb neue Wege in der Stadtentwässerung. Zisternen und Sickerflächen sollen Regenfälie puffern - und zugleich den Geldbeutel der Häuslesbauer schonen.

Das schwere Gewitter am vergangenen Freitag überflutete Produktionshallen bei Porsche, in Korntal starb ein Feuerwehrmann beim Auspumpen eines Hauses durch einen Stromschlag. Immer wieder setzen Unwetter Stuttgart unter Wasser. Als schwärzester Tag in der Geschichte der Landeshauptstadt gilt der 16. August 1972. Starkregen und Hagelschauer forderten damals fünf Todesopfer. Im überfluteten Planietunnel in der City schwammen Autos, stadtweit standen Keller unter Wasser.
Um derartige Überschwemmungen zu bannen, wurden Millionen in Rückhalte- und Überlaufbecken gepumpt. Heute gibt es stadtweit 105 Sonderbauwerke, die Wassermassen aus zuvor heiterem Himmel zwischenspeichern sollen. Eine absolute Sicherheit bieten sie aber nicht. „Die örtlichen Regenrückhaltebecken haben die Fluten nicht mehr zurückhalten können, sie sind schnell voll- und dann übergelaufen", erklärt Tiefbauamtsleiter Wolfgang Schanz die jüngsten Überschwemmungen im Norden der Stadt. Nur knapp eine Woche zuvor hatte am Killesberg ein Kanal den Wassermassen eines Wolkenbruchs nicht standgehalten. Aus der Bruchstelle an einem Steilhang rauschte eine Schlammflut ins Tal und überschwemmte zwei Wohnhäuser.
„ Der globale Klimawandel beansprucht auch das Stuttgarter Kanalnetz", erwähnt Schanz, dass die Erderwärmung auch die Stadtentwässerung vor neue Herausforderungen stellt. Nach Prognosen erhöhen sich die jährlichen Regenmengen in den nächsten Jahren in der Region um zwanzig Prozent. Zugleich soll der Niederschlag immer heftiger fallen. Tagelanger leichter Landregen war einmal, Gewitter mit Starkregen werden im Sommer künftig zur Regel. „Derzeit rechnen wir die Kapazitäten des gesamten Kanalnetzes durch", nennt Schanz eine Vorsichtsmaßnahme. Denn in manchen Stadtteilen stammen die Kanäle noch aus dem 19. Jahrhundert, als noch niemand an Klimawandel dachte.

Das Wasser soll wieder stärker dem natürlichen Kreislauf zugeführt werden

Parallel dazu suchen die Fachleute nach neuen Strategien gegen Starkregenfluten. „Früher wurde Niederschlagswasser möglichst schnell über die Kanalisation abgeleitet. Heute wollen wir es wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zuführen", erläutert Christiane Schilling vom Tiefbauamt. Statt Auffangen und Ableiten heißen die Schlagworte jetzt Versickern oder Verdunsten. Im Stuttgarter Häuser- und Straßenmeer ist dies jedoch schwierig umzusetzen.
Offene Böden, in die Wasser eindringen kann, werden mit jedem Bauvorhaben weniger. Zudem bremst die Hügellandschaft der Stadt das Vorhaben. Starkregen rauscht lieber mit der Schwerkraft zu Tal, als am Aufprallort langsam zu versickern, so Schilling.
Wegweisend für das Regenwassermanagement der Zukunft kann der Hohlgrabenäcker bei Zazenhausen sein. Das 18 Hektar große Neubaugebiet, in dem 1200 Einwohner in 265 Eigenheimen und neun Wohnblöcken leben sollen, ist für die ökologische Entwässerung konzipiert. Eine Maßnahme: Jedes fünfte Eigenheim hat im Garten eine sechs Kubikmeter große Zisterne vergraben, die 6000 Liter Regenwasser vom Dach aufnehmen kann. 20 000 Liter fassen die größeren Behälter der Wohnblöcke.
Getrennte Wasserleitungen in den Gebäuden versorgen Toiletten, Waschmaschinen und Gärten mit dem Nass vom Dach. „Der unterirdische Wasserspeicher dient auch als Puffer", betont Schilling. Ein Viertel des Zisternenvolumens ist für heftige Niederschläge reserviert. Häusern ohne Zisterne hat die Stadt ein begrüntes Flachdach vorgeschrieben. Über das Grün soll der Regen verdunsten. Zudem sind alle öffentlichen Flächen im Neubaugebiet durchlässig gestaltet.
Straßen und Wege wurden mit Sickerpflaster belegt. Sogar die Grünanlagen wurden sickerfreundlich präpariert: Mulden mit unterirdischen Speichersystemen durchziehen sie, über die das Wasser langsam ins Erdreich eindringen kann. Das gesamte Gebiet ist zudem so platzsparend bebaut, dass nur zwanzig Prozent der Fläche versiegelt werden. „In herkömmlicher Bauweise würde der Befestigungsgrad auf über 40 Prozent steigen und eine zentrale Regenwasserrückhaltung erfordern", betont der Ditzinger Ingenieur Alfred Diem, der die Entwässerung geplant hat.
Statt Platz für ein Rückhaltebecken zu reservieren, konnte die Stadt so vier zusätzliche Baugrundstücke ausweisen. Zudem durfte das Tiefbauamt die Kanalisation eine Nummer kleiner dimensionieren. Eine Lösung, die sich finanziell lohnt. „Die gesamten Erschließungskosten, ursprünglich auf eine Million Euro taxiert, betragen nur noch 600.000 Euro", bilanziert Diem.
Zisternen, sie kosten beim Eigenheim rund 2500 Euro, zahlen sich auch im laufenden Betrieb aus. „Regenwasser für Toiletten und Garten spart bis zu 40 Kubikmeter Trinkwasser im Jahr", rechnet der Ingenieur das Sparpotenzial für eine dreiköpfige Familie vor. Sobald auch die Waschmaschine mit Regennass wäscht, sinkt der Trinkwasserverbrauch um mindestens 70 Kubikmeter. „Die jährliche Wasserrechnung verbilligt sich um rund 150 Euro", so Diem. Durch die gesplittete Abwassergebühr in Stuttgart sparen Zisternen- und Gründachbesitzer zusätzlich etwa 30 Euro im Jahr. In vierzehn Jahren hat sich also eine Zisterne bezahlt gemacht. „Langfristig gewinnen alle am ökologischen Regenwasserwirtschaftskonzept", betont auch Tiefbauamtsleiter Schanz. Weil nämlich Betriebs- und Investitionskosten für Kanalisation und Kläranlage sinken - was die Stadt über niedrigere Gebührensätze an ihre Bürger weiterreichen kann.

Hintergrund

700 Liter Regen im Jahr


In einem Neubaugebiet in Zazenhausen wird eine Zisterne angeliefert. Maßnahmen wie
diese könnten die Kanalisation in Zukunft entlasten Foto: Franziska Kraufmann

Von JÜRGEN LESSAT, Stuttgarter Nachrichten vom 09.07.2009
www.stuttgarter-nachrichten.de

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